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Zehn Jahre Orgelrestaurierung. Ein Rückblick.

Als der damalige Pfarrer Thorwald Fellner der EKHN im Jahr 1963 meldete, dass die Zinnprospektpfeifen der Orgel, die im ersten Weltkrieg zu Rüstungszwecken requiriert wurden, ersetzt werden müssten, ahnte man noch nicht, welche gravierende technische und klangliche Eingriffe die folgende Restaurierung im Jahr 1964 hinterlassen würde. Nach einer eingehenden Untersuchung des Instruments durch Thomas Wilhelm, den Orgelsachverständigen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, wurde im Jahr 2009 deutlich, dass durch die zurückliegenden Umbauten unter anderem die Verschlechterung der Statik der Windladen durch die Erweiterung des Tonumfangs hervorgerufen wurde. Daneben wurden dadurch die Intonations- und Stimmhaltung und besonders der Klang der Orgel negativ beeinflusst. Da die Orgel trotz aller Eingriffe zu den bedeutenden hessischen Denkmalsorgen zu zählen sei, empfahl Thomas Wilhelm eine grundlegende Restaurierung nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten.  Dass bei der Realisierung eines solchen Projekt erhebliche Kosten auf die Kirchengemeinde zukommen sollten, verschwieg er nicht.

Einen Blick auf die "inneren Werte" der Dahm-Orgel vor der Restaurierung können Sie in der Bildergalerie rechts werfen!

Wege zur Finanzierung in den Jahren von 2010 bis 2017

Als nach dem Einholen von Kostenvoranschlägen und eingehenden Untersuchungen des Instruments bekannt wurde, dass die Kosten einer von Thomas Wilhelm beschriebenen Restaurierung alles in allem bei mindestens 200.000 € liegen würden, machte es sich der Kirchenvorstand nicht leicht bei seiner Entscheidungsfindung, denn dieses Projekt – das war klar – würde alle Dimensionen dessen sprengen, was die kleine ländliche Kirchengemeinde an finanzieller Belastungen tragen könnte. Nach langer Diskussion beschloss der Kirchenvorstand schließlich im November 2010 einvernehmlich, die Restaurierung auf den Weg zu bringen und die Finanzierung zu klären. Das erwies sich nicht als einfach. Von Rücklagen konnte die Gemeinde nicht zehren, ein erheblicher Eigenbetrag musste aufgebracht werden. Das Dekanat Rheingau-Taunus sagte eine finanzielle Unterstützung von 5.000 € zu, in der Gemeinde begannen nach und nach Spenden zu fließen. Spendenprojekte wurden in Gang gesetzt, beispielsweise wurde unsere Organistin Gisela Diefenbach zu ihrem 60. Organistinnenjubiläum in Gold aufgewogen, Orgelpfeifenpatenschaften wurden angeboten. Bis Ende des Jahres 2012 gelang es, in der Gemeinde 30.000 € an Spendengeldern einzuwerben – ein Beleg dafür, dass viele Menschen die Bedeutung des Projektes für Strinz-Margarethä erkannt hatten und zu unterstützen bereit waren. Dennoch – die eigenen Gelder konnten nur einen Bruchteil der Gesamtkosten decken. Bis ins Jahr 2015 war nicht klar, welche „Fremdmittel“ die Kirchengemeinde zu erwarten hatte. Die Zweifel am Zustandekommen des Projekts wuchsen in der Gemeinde, in der weiterhin die Spenden sprudelten. 2016 sagte die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau die sagenhafte Summe von 106.500 € an Fördermitteln zu, das Hessische Amt für Denkmalpflege und die Sparkassen-Kulturstiftung beteiligten sich jeweils mit 10.000 €. Damit war die Finazierung des „Grundprogramms“ im Höhe von 182.000 € abgedeckt. Der Auftrag wurde an die Firma Orgelbau Rainer Müller aus Merxheim erteilt, die sich einen hervorragenden Ruf in der Restaurierung barocker Orgel erworben hatte. Der Beginn der Arbeiten am Instrument wurde auf Pfingsten 2017 festgelegt. Immerhin fehlten immer noch rund 45.000 €, um den Einbau originalgetreuer Register und die Rekonstruktion des historischen Balghauses realisieren zu können. Diese sinnvollen Zusatzangebote schienen in absehbarer Zeit nicht zu realisieren, kamen doch mit der Überprüfung der Statik, Elektroarbeiten und umfangreiche  Malerarbeiten am Holzwerk und der Empore noch zusätzliche und erhebliche Kosten auf die Gemeinde zu.

Mittlerweile war aber der „Orgelbau“ auf eine ganz neue Art und Weise in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geraten, von Seiten des Staatsministeriums für Kultur und Medien wurde ein „Programm zur Förderung national bedeutsamer Orgeln“ ins Leben gerufen. Dr. Bernhard Buchstab vom Landesamt für Denkmalpflege wies auf dieses Programm hin – und wir versäumten nicht, im mai 2016 die Kosten des „Zusatzprogrammes“ in Höhe von 44.€ zu beantragen. Wir erbaten und erhielten die politische Unterstützung unserer Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Willsch und Martin Rhabanus. Dennoch erhielten wir Ende des Jahres die Nachricht, dass keine der hessischen Orgeln in die erste Runde des Förderprogramms aufgenommen worden sei. Diese Enttäuschung wandelte sich in Freude, als ein Brief der Ministerin Dr. Monika Grütters uns zu Ostern 2017 mitteilte, dass ein Zuschuss bis zu einer Höhe von 44.500 € gewährt werden könne. Damit konnte auch das „Zusatzprogramm“ beauftragt werden und die Arbeiten beginnen. Die Gesamtfinanzierung schien gesichert, denn mittlerweile waren durch die Gemeinde stolze 50.000 € an Spenden eingeworben.                

Die Restaurierung 2017 bis 2019

Pfingsten 2017 wurde die Orgel abgebaut und in die Werkstatt von Rainer Müller nach Merxheim transportiert.

Die Wiederherstellung des als Erstzustand anzunehmenden Zustands als Ziel der Restaurierung, die in den Jahren 2017 bis 2019 stattfand, erwies sich als anspruchsvolles Unterfangen, war doch beispielsweise bei Mechanik oder den Windkästen „in weiten Teilen … der Weg bestmöglicher Annäherung durch Übernahme baulicher Parameter von Vergleichsinstrumenten des Erbauerumfeldes bzw. in Strinz-Margarethä fragmentarisch erhaltener Substanz zu beschreiten.“ (Rainer Müller im Restaurierungsbericht, S. 66)

Das bedeutete für die Meisterwerkstätte für Orgelbau Rainer Müller für die Dauer der Restaurierung akribische, detailgenaue Untersuchungen des Strinzer Instrumentes ebenso wie  der von Vergleichsinstrumenten, die dann Rückschlüsse auf die ursprüngliche Dahmsche Bauweise zuließen. Beispielsweise musste das Dahm zugeordnete Pfeifenwerk, das in weiten Teilen nach der so genannten „Restauration“ im Jahr 1964 nur vermischt und verschoben, verlängt oder verkürzt worden war, in kleinteiligen, mühsamen Arbeitsschritten dem ursprünglichen Schema zugeordnet werden. Die im Jahr 1964 eingebauten Pfeifen aus historischem Fremdbestand, so sah das Restaurierungskonzept vor, sollten im Instrument beibehalten werden, die eindeutig der damaligen Werkstatt zuzuordnenden Pfeifen allerdings entfernt werden.

Die ursprünglich auf der hinteren Manualschleife vorhandene, aber vakante Zungenstimme wurde im Jahr 1964 durch eine „Trompete“ ersetzt, die im Instrument klanglich wie ein Fremdkörper wirkte und entsprechend entfernt werden musste. Neu eingebaut wurde eine „Trompete 8‘ “, die nach Vorbild des Mainzer Barock gefertigt wurde.

Die Windladen wurden im Jahr 1964 fast bis zur Unkenntlichkeit zerstört, die Verwendung moderner Materialien (Tropenhalo, Sperrholz, Spanplatte, Rundkopfschrauben usw.). So musste die Restaurierung der Laden sich an andernorts erhaltenen Bereichen orientieren, um sich dem gedachten Erstzustand anzunähern.

Reste einer alten Keilbalganlage – wohl Dahm zuzuordnen - fanden sich auf dem Speicher der Kirche. Wohl eine Anlage mit zwei Keilbälgen versorgte die Orgel bis 1964 mit Wind. Die alte Keilbalganlage wurde rekonstruiert. Mittlerweile ist es durh die Rekonstruktion der beiden Keilbälge wieder möglich, die Orgel durch einen Kalkanten mit Wind zu versorgen. Nebenbei wurden bei den Restaurierungsarbeiten in einer der alten Balgplatten Teile eines Mond- und Heilgenkalenders aus dem Jahr 1707 gefunden. Damit lässt sich das Alter der Orgel ziemlich genau auf die Zeit nach 1707 datieren.

Dass Überraschungen  - und entsprechende Mehrkosten - bei der Restaurierung eines solchen Instruments nicht ausbleiben, weiß jeder Mensch, der sich einmal an der Restaurierung eines alten Hauses versucht hat. Die Mechanik zur Schalung der Register unsere Dahm-Orgel war offenbar ursprünglich vollkommen anderes beschaffen als bei anderen Barockorgeln üblich. Anhand von Schleifspuren wurde deutlich, dass die Registermechanik ursprünglich nicht aus Holzteilen, sondern aus geschmiedeten eisernen Elementen bestanden haben muss – ein bis um 1710 in Mainfranken gebräuchliches Verfahren, in unserer Region auch bei der Orgel in Kiedrich belegt. Allein die praktische Umsetzung einer geschmiedeten Ausführung der Mechanik – statt zu der geplanten aus Holz -  führte zu erheblichen Mehrkosten.

Festgestellt wurde ebenso, dass im Gegensatz zum im 19. Jahrhundert dokumentierten Zustand die Orgel ursprünglich eine weitere gemischte Stimme (Sespiualtera 2fach) und statt einer dreifachen Mixtur eine Mixtur 5fach. Insgesamt 142 zusätzliche Pfeifen waren nach Dahmschem Vorbild neu anzufertigen. Dass der Neubau der Prospektpfeifen einen 98%igen Zinnanteil (statt wie vorgesehen 75%) enthalten sollte, wie Analysen an Prospektpfeifen der fast gleich alten Orgel der Schlosskirche Weilburg erwiesen, sich ebenfalls verteuerte, ist bei der Summe der Mehrkosten fast eine Randnotiz.

Im Dezember 2018 begann der Wiederaufbau der Orgel in der Kirche Stinz_Margarethä. Nach aufwändigen Stimmungen der einzelnen Pfeifen und Register erklangen erstmals einige Register der spielbereiten Orgel am Ostersonntag 2019 zu „Christ ist erstanden“.

Am 28. August 2019 fand die feierliche Einweihung der Orgel statt.

Paul Hahn, der stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstands Strinz-Margarethä, sagte in seiner Begrüßung: „Heute ist ein großer Tag für Strinz-Margarethä.  Fast zwei Jahre mussten wir ohne Orgel auskommen.  Heute erklingt sie wieder so, wie ihr Erbauer Johann Jakob Dahm sie vor 310 Jahren erdacht hatte. Orgelbauer Rainer Müller und sein Team haben in sorgfältigster detektivischer Kleinarbeit, unterstützt und beraten vom wohl kompetentesten Johann Jakob Dahm- Kenner, Thomas Wilhelm, dem Orgelsachverständigen der EKHN, die Orgel auseinandergenommen und Dahms Spuren nachgespürt. Sie haben den alten Kernbestand der Dahm-Pfeifen und –Register untersucht, geordnet und richtig zusammengesetzt, misshandelte Pfeifen wieder nach alten handwerklichen Methoden sorgfältig repariert. Die Ornamente, die der Holzwurm fast aufgefressen hatte, wurden bearbeitet, fehlende Teile in hervorragender Arbeit filigran ergänzt. Der neue Keilbalg auf dem Dachboden wurde nach den alten Balgplatten, die an die Sparren unseres Dachstuhls genagelt waren, rekonstruiert. Die Winderzeugung unserer Orgel ist nicht mehr auf Strom angewiesen, sondern kann mittlerweile auch wieder durch Kalkanten, das heißt: „Balgtreter“ gewährleistet werden…. Schön, dass heute so viele Menschen aus unseren Ortschaften, aus Nah und Fern gekommen sind. Sie zeigen alle Ihre Verbundenheit mit unserer Dahm-Orgel und haben mit dazu beigetragen, dass die Orgel heute so kraftvoll und gefühlvoll spielen kann wie in den Zeiten des Barock. Vielen Dank!"

Nach der Restaurierung besitzt das Werk folgende Disposition:

Manual C,D-c3 (48Tasten)

Principal 4’ - Groß-Gedackt 8’ - Salicional 8’ - Klein-Gedackt 4’ - Octave 2’ - Quinte 1V2’ - Sesquialtera 2fach - Mixtur 5fach - Trompete 8’ - Tremulant

Pedal CJD-c1 (24 Tasten, original C,D-d°)

Subbass 16’ - Oktavbass 8’ - Superoktavbass 4’

Pedalcoppel

Aus dem Gutachten zum Abschluss der Maßnahme

Die Restaurierung der hoch wertvollen Denkmalorgel wurde mit großem Engagement durchgeführt und mit einem ausgezeichneten Ergebnis abgeschlossen. Durch behutsames Arbeiten und waches Beobachten des Orgelbauers konnten wesentliche Elemente des ursprünglichen Zustandes erkannt und in die Restaurierungskonzeption einbezogen werden. Resultat ist ein geschlossenes, farbenreiches und prächtiges Instrument, das nun wieder Zeugnis ablegen kann von dem kurmainzischen Orgelbaustil der Barockzeit.

(Thomas Wilhelm, Orgelsachverständiger der EKHN)

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