Eine kleine Geschichte der Johann Jakob Dahm – Orgel in Strinz-Margarethä in Fragen und Antworten
Kursiv gedruckt sind die Fragen.
JN gibt die Antworten zur Geschichte des Instruments.
Das ist aber eine Überraschung! Solch ein Instrument hätte ich in dieser schlichten Kirche in Strinz-Margarethä nicht erwartet. Außen und innen ist die Kirche ganz schlicht. Und dann dieses majestätische Instrument!
JN: Sie haben Recht. Eine Majestät. Bereits Wolfgang Amadeus Mozart sagte in einem Brief: „…die Orgel ist doch in meinen Augen und Ohren der König aller Instrumenten.“ Also wirklich eine Majestät.
KÖNIGIN!!!
JN: Wieso?
Die Orgel, die Königin, also: WEIBLICH!
JN: OK! Dann machen wir es etwas unverfänglicher. „Ja man könte wol sagen / daß die Orgel ein künstlich gemachtes Tier sey / welches durch hülff der Lufft oder des Windes und Mänschlicher Hände / gleichsam rede / klinge / singe / und modulire ..."
Hübsch gesagt, klingt altmodisch. Von wem kommt dieser Satz?
JN: Das war Michael Praetorius, ein Organist des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts.
Wenn Sie solche Dinge wissen, können Sie mir doch sicher auch etwas über dieses Instrument erzählen!
JN: Ich denke schon. Diese Orgel wurde nicht für dieses Kirchengebäude gebaut. Das kann man sehen. Sie haben eben die schlichte Bruchsteinkirche, die von 1831 bis 1834 gebaut wurde, erwähnt. Das war der Stil des Klassizismus. Strenge, klare Formen, keine Verzierungen. Pfarrer Schmidtborn schrieb in einem Bericht an das „herzogliche Dekanat zu Bechtheim: „Die hiesige Kirche wurde an der Stelle der alten von 1831-34 neu gebaut, in sehr einfacher Form, mit stumpfen niederem Thurm.“ Die alte Kirche war wegen Baufälligkeit nicht mehr nutzbar, die alte Orgel, die keine besondere Qualität hatte, war irgendwo eingelagert, wurde auch nicht mehr aufgebaut. Fast 20 Jahre lang, bis ins Jahr 1853, gab es in dem neuen Strinzer Kirchengebäude keine Orgel. Die Finanzkraft der Gemeinde war durch den Kirchbau, so schlicht er auch ist, erschöpft. An ein neues Instrument für diesen Bau war offenbar für lange Zeit nicht zu denken.
Fanden die Gottesdienste dann fast zwanzig Jahre lang ohne jede Orgelbegleitung statt?
JN: Höchstwahrscheinlich. Jedenfalls berichtet Pfarrer Schmidtborn in der Pfarrchronik aus dem Jahr 1853 kurz und knapp: „Ankauf einer Orgel von der Gemeinde Niederingelheim in die hiesige Kirche, die seit der Erbauung im Jahr 1834 ohne Orgel war.“ Seit dem Jahr 1853 steht diese Orgel jetzt in der Kirche in Strinz-Margarethä. Die Strinzer Christen hätten wahrscheinlich gerne einen Neubau gehabt, mussten sich aber wahrscheinlich wegen der Geldknappheit mit diesem Gebrauchtinstrument begnügen. Es war ein günstiges Instrument, und man war in Strinz-Margarethä froh, diese Orgel überhaupt erwerben zu können.
Aus heutiger Sicht war das aber wohl ein Glücksfall. Die Orgel stammt also aus dem heutigen aus Ingelheim am Rhein!
JN: Nein, die Geschichte ist noch etwas komplizierter. Als diese Orgel in die Saalkirche nach Ingelheim kam, war sie bereits in etwas reiferen Alter – fast 100 Jahre alt. Ursprünglich wurde sie gebaut für ein Frauenkloster in Mainz, das Weißfrauenkloster, das wie die anderen Klöster und Stifte in Mainz durch den Kaiser Napoleon aufgelöst wurde. So war die Orgel zunächst im Besitz der französischen Regierung, die sie dann nach Niederingelheim verkaufte. Majestätisch schon damals. Die Königin Orgel stand dann seit 1803 in der reformierten Kirche, die auf dem Boden der ehemaligen Kaiserpfalz Karls des Großen errichtet worden war.
Eine bewegte Geschichte. Erst diente sie den Nonnen als Klosterorgel, dann wurde sie in Ingelheim wieder aufgebaut. Weshalb haben denn die Ingelheimer dieses schöne, kunstvolle, prächtig verzierte Instrument wieder hergegeben?
JN: Wir wissen, dass in Ingelheim eine umfängliche Reparatur der Orgel anstand, und der damalige Orgelsachverständige für Rheinhessen empfahl der Gemeinde statt einer Renovierung einen Neubau zu planen und durchzuführen. Der Orgelbauer Bernhard Dreymann nahm die Orgel in Zahlung, (ich zitiere aus dem Pfarrarchiv der Gemeinde Niederingelheim) „jedoch mit der ausdrücklichen Bedingung, dass alle Verzierungen, namentlich auch die Figuren, welche nicht unbedingt zur Orgel gehören, hergestellt in Gold und Ölfarbe und in die neu zu bauende Orgel verwendet werden.“
Verstehe ich das jetzt richtig: Diese Orgel war ursprünglich offenbar noch mit Figuren verziert. So wie in manchen bayrischen Kirchen, mit dicken Engeln und so? ... Aber – wo könnten die denn angebracht gewesen sein? Unter der Kirchendecke ist in der Strinzer Kirche doch kein Platz mehr!
JN: Ja, das stimmt, aber Dreymann hat seine vertraglichen Verpflichtungen getreu erfüllt. Die Figuren blieben in Ingelheim und zieren heute noch das Orgelwerk der Dreymann-Orgel. Nicht unbedingt zum klassizistischen Stil dieser Orgel passend. Und bekanntermaßen lässt sich über Geschmack trefflich streiten!
Bild der Dreymann-Orgel mit dem Dahmschen Figurenschmuck
Schade - mit diesen Figuren hätte die Strinzer Orgel noch prächtiger gewirkt – ich sehe die Figur der Maria Immaculata in der Mitte der Dreimann-Orgel, daneben links und rechts zwei Engel mit Trompeten und jeweils zwei kleine singende Engel auf beiden Seiten…
...Aber ich sehe auch, dass der Platz hier in Strinz-Margarethä auf der Orgelempore einfach nicht reicht.
JN: Die Menschen in Strinz-Margarethä wollten damals einfach wieder eine Orgel in ihrer Kirche haben. – übrigens – auch die beiden Seitenflügel an der Dreymann-Orgel stammen von „unserer“ Orgel. Auch dafür wäre in der Strinzer Kirche kein Platz gewesen. Dreymann hat die Dahm-Orgel in Ingelheim abgebaut, in deiner Werkstatt in Mainz instand gesetzt und dann an die Gemeinde Strinz-Margaerthä verkauft, die sich zum Kauf des Instrumentes entschlossen hatte. Die Strinzer waren damals sicher froh, dieses großartige Werk so günstig erstanden zu haben.
Moment mal! Darm-Orgel? Wieso denn Darm?
JN: DAHM! D-A-H-M! Johann Jakob Dahm. So hieß der Erbauer dieser Orgel.
Aha! Johann Jakob Dahm. Hm. Wer war denn eigentlich dieser Mensch, der so viele künstlerische und handwerkliche Fähigkeiten in sich vereinigte, um in der Lage zu sein, eine Orgel zu planen und zu bauen?
JN: Viel wissen wir nicht über diesen Mann. Bekannt ist, dass er am Michaelistag, dem 29. September 1659 als Sohn der Eheleute Johann und Lucia Dahm im Örtchen Weibern bei Kempenich in der Eifel zur Welt gekommen ist. Über seine Jugend und seine Ausbildung ist nichts bekannt. Er kam nach Franken. Heiratete dann im Jahr 1682 in Würzburg. Seine Frau hieß Maria Barbara. Ich vermute einmal, dass er in Würzburg eine orgelbaulehre oder zumindest Teile davon absolvierte. Jedenfalls baute er im Jahr 1695 seine erste eigene Orgel für die katholische Pfarrkirche in Hopferstadt.
Und wie kam er dann nach Mainz?
JN: Lothar Franz von Schönborn, der Fürstbischof von Bamberg, wurde 1694 zum Erzbischof von Mainz gewählt. Möglicherweise kam es über familiäre Verbindungen von Dahms Patentante, einer Adeligen, was schon recht ungewöhnlich war, zur Familie von Schönborn dazu, dass Johann Jakob Dahm nach Mainz ging. Dort lebte und arbeitete er seit etwa 1696. 1698 wurde er dann Bürger von Mainz. Die Ernennung zum Domkapitulorischen Orgelbaumeister erfolgte nur wenig später. Bald gingen wichtige Aufträge bei ihm ein: beispielsweise baute er im Jahr 1701 eine Orgel mit drei Manualen und 35 Registern für den Dom in Mainz, von 1708-1710 die wahrscheinlich ähnlich große Orgel des Klosters Eberbach, im Jahr 1709 die Orgel des Karmeliterklosters Frankfurt am Main, die heute in St. Gallus in Flörsheim steht, im Jahr 1710 die Orgel der Weilburger Schlosskirche, 1711 dann die Orgel in der Stiftskirche St. Lubentius in Dietkirchen… Und dazwischen, wohl im Jahr 1709, folgte die Orgel des Weißfrauenklosters Mainz – etwas kleiner, mit einem Manual, aber ebenso prächtig in musikalischem Ausdruck und aufwändig in der Gestaltung wie die die anderen Orgeln, die von Johann Jakob Dahm überliefert sind. Das ist die Orgel, die Sie hier sehen und seit 1853 der Kirchengemeinde Strinz-Margarethä gehört.
1709 also. Sie sagen, "...wohl im Jahr 1709...". Woher weiß man eigentlich das Baujahr dieser Orgel? Ist das irgendwo vermerkt? Gbit es irgendwelche Dokumente? Meinen Sie wirklich, dass Johann Jakob Dahm so viele Orgeln in so kurzer Zeit gebaut haben konnte?
JN: Das sind jetzt zwei Fragen auf einmal. Ich beantworte erst einmal die zweite Frage. Ja, die umfängliche Orgelbautätigkeit Dahms ist möglich. Wir wissen, dass beispielsweise die Schreinerarbeiten damals zumeist nicht von den Orgelbauern gemacht wurden, sondern Schreiner damit beauftragt waren, die Gehäuse nach den vorliegenden Plänen zu zimmern. Auch gab es Spezialisten für die aufwändigen Verzierungen und für den Figurenschmuck. Wir wissen ebenfalls, dass in den Wintermonaten nicht in den Kirchen gearbeitet werden konnte. Heizungen wie heute gab es nicht. Die Kirchen waren eiskalt. Deshalb beschäftigten sich die Orgelbauer im Winter wohl schwerpunktmäßig mit dem Bau von Pfeifen. Sie produzierten sozusagen „auf Halde“. Und so konnten die Orgelwerke doch recht schnell gebaut werden. Außerdem gab es – das wissen wir, sehr begabte Mitarbeitende des „domkapitulorischen Orgelmachers“ Johann Jakob Dahm, die später selbst zu sehr bekannten, hervorragenden Orgelbauern wurden. Diese bauten die Orgeln auf, der Meister behielt sich dann vor, der Orgel den letzten Schliff, also die Stimmung und den charakteristischen Klang zu geben.
Und jetzt zur Fragen nach dem Baujahr unserer alten Dame. Lange wusste man überhaupt nicht, wer diese Orgel gebaut hatte. Man vermutete einen Baumeister aus Mainz, es fielen die Namen Kohlhaas und Gabler, beides sehr bekannte, großartige Orgelbauer aus Mainz, aber der Name Johann Jakob Dahm fiel nicht. Anhand von Pfeifensignaturen – jeder Orgelbauer hinterließ Zeichen auf den von seiner Werkstatt gebauten Orgelpfeifen – fiel dann immer wieder der Name Dahm. Aber keiner wusste zunächst zu sagen, wann diese Orgel wirklich gebaut wurde. Vorsichtig wurde geschätzt, dass die Orgel nach 1708 eingebaut wurde.
Genau das ist ja meine Frage!
JN: Wir wissen, dass die Kanzel des Mainzer Weißfrauenklosters im Jahr 1707 hergestellt wurde, die Bänke im Jahr 1708. Da wurde natürlich in der Kirche gesägt, Staub entwickelte sich – und wir wissen, dass Staub dem Klang einer Orgel schadet. Deshalb wird eine Orgel wahrscheinlich das Letzte gewesen sein, was in einer Kirche an Gegenständen eingebaut wurde. Deshalb: nach dem Jahr 1708. Klar?
Ja, das habe ich durchaus verstanden.
JN: Außerdem haben der Orgelbaumeister Rainer Müller und sein Team in den originalen Balgplatten, die glücklicherweise erhalten sind, weil sie an das Dachgebälk der Strinzer Kirche genagelt waren, Teile eines Mond- und Heiligenkalenders vom Jahr 1707 gefunden, der zur Abdichtung benutzt wurden. Nichts ist älter als der Kalender des letzten Jahres.
Zudem – und dazu war detektivische Kleinarbeit nötig – hat Rainer Müller festgestellt, dass die Registermechanik dieser Orgel ursprünglich nicht aus Holz, sondern schmiedeeisern gewesen ist. In der Würzburger Gegend, auch in Österreich, war das eine bis um 1710 gebräuchliche Weise, die Register einzuschalten. In unserer Region hat nur noch die Kiedricher Orgel, die mit zu den ältesten in Deutschland gehört, eine Mechanik aus geschmiedetem Eisen. Durchgesetzt hat sich dann insgesamt das Einschalten der Register aus Holz, die alte Technik wurde „vergessen“. Auch das ist ein Hinweis auf die Frühdatierung. Ich sage: 1709. Das klingt jedenfalls gut!
Dahms Instrumente waren für ihren Klang berühmt. Um 1817 wurden die Instrumente, die Dahm für die Basilika des Klosters Eberbach und die Karmeliterkirche gebaut hatte, als die schönsten und wohlklingensten Orgeln im Großherzogtum Hessen bezeichnet.
Karmeliterkloster Frankfurt? Ein wenig kenne ich mich in Frankfurt am Main aus! Im Karmeliterkloster gibt es keine Orgel mehr, in der ehemaligen Klosteranlage ist doch das Archäologische Museum Frankfurt untergebracht. Und in der Basilika des Klosters Eberbach finden zwar Konzerte statt, aber eine Orgel habe ich dort nirgends gesehen.
JN: Ja, aber auch hier spielt Napoleon wieder eine Hauptrolle. Bei er Auflösung der Klöster wurde – wie bei unserer Orgel – das Inventar abgegeben bzw. zu Geld gemacht. So ist bekannt, dass die katholische Kirchengemeine in Flörsheim die Orgel der Karmeliterkirche Frankfurt gekauft hat. Die Orgel des Klosters Eberbach fand ihren neuen Platz übrigens in der Mauritiuskirche in Wiesbaden.
Mauritiuskirche Wiesbaden? Ich kenne die Ringkirche, die Bergkirche, die Marktkirche – aber wo, bitte, finde ich die Mauritiuskirche? Ja, den Mauritiusplatz kenne ich – aber da gibt es keine Kirche, sondern unter anderem ein amerikanisches Spezialitätenrestaurant.
JN: Aber es gab dort einmal eine Kirche, übrigens erinnern auch die Namen Mauritiusstraße, Kirchgasse und kleine Kirchgasse daran, dass am Mauritiusplatz über viele Jahrhunderte mit der Mauritiuskirche der kirchliche Mittelpunkt der Stadt Wiesbaden lag. Seit karolingischer Zeit gab es dort eine Kirche. Unglücklicherweise fiel die Mauritiuskirche im Jahr 1850 einem Brand zum Opfer – und in ihr verbrannte auch die berühmte Dahm-Orgel des Klosters Eberbach. Die meisten anderen Werke Dahms sind auch verschwunden, durch Neubauten ersetzt oder bei Umbauten dem Zeitgeschmack angepasst und total verändert worden. Die Mainzer Domorgel wurde in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ersetzt, an der Weilburger Orgel stammen nur noch der Prospekt und die Prospektpfeifen von Dahm. Ähnlich ist es mit allen Dahm-Orgeln, die uns bekannt sind. Entweder bis zur Unkenntlichkeit verändert … oder wie in St. Nikolaus oder St.Emmeran in Mainz durch Neubauten ersetzt.
Aha, deshalb kennen wir die berühmten Schnitger-Orgeln in Norddeutschland, oder die berühmten Silbermann-Orgeln in Sachsen, aber keine berühmten Dahm-Orgel in Rheinlad-Pfalz und Hessen?
JN: Stimmt genau. Aber hier in Strinz-Margarethä steht ein Instrument, das in seiner bewegten Geschichte – immerhin musste die Orgel zweimal wegen Umzugs ab- und nach Anpassungen an den neuen Kirchenraum wieder aufgebaut werden, und immer wieder haben verschiedene Orgelbauer mit mehr oder weniger Geschick an ihr gearbeitet – ganz viel von seiner historischen Substanz erhalten hat. Und deshalb erleben wir heute ein besonderes Instrument hier in der Kirche, weil die Restaurierung durch Rainer Müller sorgfältig auf die Rekonstruktion zielte und die Orgel jetzt wieder so erklingen kann wie zu Zeiten von Johann Jakob Dahm vor 310 Jahren.
Ich bin beeindruckt und möchte die Orgel gerne einmal klanglich erleben.
JN: Ich denke, dass das sicher möglich sein wird – in einem Konzert, das die barocke musikalische Vielfalt dieses Instruments zu Gehör bringt. Sie dürfen gerne als Kalkant (Balgtreter) dabei assistieren!
(Text z.T. inspiriert von der CD: „300 Jahre Dahm-Orgel St. Gallus, Flörsheim am Main)